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Interview mit dem Unaussprechlichen

Der geneigte Leser möge bedenken, dass bei diesem Gespräch alles, also wirklich alles erfunden ist!


Websat:
Hör zu, du musst mir helfen!

Wer, ich?

Websat:
Klar. Wer sonst?

Wie denn? Was denn? Wo denn? Wer denn?

Websat:
Ach so, ja. Du bist ja noch niemand.

Wieso nicht?

Websat:
Weil ich dich gerade erfunden habe.

Und deshalb glaubst du, dass du mit mir machen kannst, was du willst?

Websat:
Klar! Jetzt halt die Klappe, sonst erfinde ich einfach einen anderen.

Könnte ich vielleicht auch einen Namen haben?

Websat:
Gute Idee. Dann kann ich euch besser auseinander halten. Wie wäre es mit Ali? Nein, das ist zu offensichtlich. Oder Peter? Nee, geht an der Sache vorbei. Reta! Das ist es. Da kann sich keiner beschweren. Also gut, du bist Reta.

Reta:
Klingt nicht sehr fantasievoll. Aber ich bin ja auch nur erfunden!

Websat:
Du sagst es. Aber jetzt mal zum Thema. Es geht um ein Interview mit dem Unaussprechlichen.

Reta:
Unaussprechlichen?

Websat:
Genau. Du weißt schon, wen ich meine. Den aus du weißt schon.

Reta:
Den mit dem besonderen Verhältnis zur Presse?

Websat:
Bist du wahnsinnig, so deutlich zu werden? Willst du mich in den Knast bringen?

Reta:
Nicht unbedingt. Oder vielleicht doch?

Websat:
Also, dies Gespräch hat nie stattgefunden, verstanden?

Reta:
Klar. Alles nur virtuell. So wie ich!

Websat:
Schlaues Kerlchen.
Also, ich stelle mir jetzt laut vor, IHN zu fragen. Und du stellst dir dann vor, was ER antworten würde. Dann kann uns keiner was wollen. Alles verstanden?

Reta:
Weiß nicht. Fang mal an!

Websat:
Eigentlich könntest du Sie zu mir sagen. Aber sei’s drum.

Herr Präsident, am 5.6.1928 urteilte ein deutsches Reichsgericht folgendermaßen:

„Es ist der Satire wesenseigen, dass sie mehr oder weniger stark übertreibt,
d. h. dem Gedanken, den sie ausdrücken will, einen scheinbaren Inhalt gibt,
der über den wirklich gemeinten hinausgeht, jedoch in einer Weise,
dass der des Wesens der Satire kundige Leser oder Beschauer den
geäußerten Inhalt auf den ihm entweder bekannten oder erkennbaren
tatsächlich gemeinten Gehalt zurückzuführen vermag.“

Ist damit nicht der von Ihnen angestrengte Prozess hinfällig, weil doch schon alles gesagt wurde?

Reta:
Das habe ich nicht verstanden.

Websat:
Ein bisschen Mühe könntest du dir schon geben.

Reta:
Ich habe das schon verstanden. Aber ich soll mir doch vorstellen, was ER antworten würde auf die Fragen, die du dir vorstellst IHM zu stellen, oder? Und ich stelle mir vor, dass ER es nicht verstanden hat, verstanden?

Websat:
Dein Satzbau ist schlimmer als der vom Reichsgericht.

Reta:
Wen hast du jetzt gemeint: IHN oder mich?

Websat:
Hör zu, Kumpel, ich weiß, dass sich erdachte Figuren manchmal selbstständig machen. Ich finde, du übertreibst gewaltig.

Reta:
Vorschlag: Wenn ich mir vorstelle ER zu sein, stehe ich aufrecht, und wenn ich mit dir rede, mach ich in kursiv. Nur, damit wir uns besser verstehen.

Websat:
Guter Vorschlag. Könnte von mir sein. Habe ich dich also dahingehend verstanden, dass du dir vorstellst, meine Frage nicht verstanden zu haben?

Reta:
Genau!

Websat:
Also weiter!

Herr Präsident, haben Sie meine Frage nicht verstanden oder das zitierte Urteil?

Reta:
Beides! Das Urteil ist typisch deutsch, also völlig konfus und die Übersetzung ist grauenvoll.
Außerdem interessiert es mich nicht die Bohne, was in deutschen Urteilen oder Gesetzen steht.
Denn ich bin ICH und stehe über allem.

Websat:
Über Ihr Verhältnis zu deutschen Gesetzen reden wir noch. Kommen wir zum Zitat, und zwar Zeile für Zeile.

Ich zitiere: Es ist der Satire wesenseigen, dass sie mehr oder weniger stark übertreibt.
Der Gedichteschreiber, den Namen lassen wir lieber weg, hat also stark übertrieben, weil er, wie man in Zeile zwei lesen kann, dem Gedanken, den er ausdrücken will, einen scheinbaren Inhalt gibt. Soweit alles klar?

Reta:
Und welchen Gedanken will er ausdrücken?

Websat:
Das ist offensichtlich. Er mag Sie nicht nur, er liebt Sie über alle Maßen.

Reta:
Indem er mich beschimpft?

Websat:
Genau. Ich bringe ein Beispiel:

Wenn ein Engländer über eine Frau sagt, sie sei nicht besonders hässlich, bedeutet dass im Klartext, dass er bereits in Liebesraserei verfallen ist.

Der Gedichteschreiber hat also seine Gefühle scheinbar umgekehrt, weil er, so Zeile vier, davon ausgegangen ist, dass Sie ein des Wesens der Satire kundiger Leser bzw. Beschauer sind und deshalb, so Zeilen fünf und sechs, den geäußerten Inhalt auf den erkennbaren tatsächlich gemeinten Inhalt zurückzuführen vermögen. Ist doch eigentlich ganz simpel.

Reta:
Und das soll Satire sein?

Websat:
In Reinform. Schöner geht es gar nicht!

Reta:
Aber warum im Fernsehen vor Millionen Zuschauern?

Websat:
Naja, bei dem Sender ist die Zuschauerzahl eher begrenzt. Er wird davon ausgegangen sein, dass Sie diesen Sender auch überwachen lassen.

Reta:
Diese Behauptung ist ungeheuerlich! Es ist der Zuneigung meines Volkes mir gegenüber zu verdanken, dass meine Landsleute mir vertrauensvoll berichten, wenn ICH, und damit auch sie beleidigt und verhöhnt werden. Es geht mir ja auch nicht um mich, sondern nur um die misshandelten Gefühle meiner Untertanen. Was würde ihr Bundespräsident sagen, wenn er in meinem Lande öffentlich so beleidigt würde?

Websat:
Er würde sagen: Was stört es eine deutsche Eiche, wenn sich eine Wildsau an ihr schabt. Aber er würde es leise sagen.

Jetzt weiter:

Sie haben gesagt, es interessiert sie nicht die Bohne, was in deutschen Gesetzen steht.
Ist der Paragraf 103 StGb da eine Ausnahme?

Reta:
Natürlich. Das ist ja kein reindeutsches Gesetz, denn es betrifft ja nur ausländische Herrscher.

Websat:
Sie sind aber bloß Präsident und kein Herrscher.

Reta:
In meiner Sprache ist da kein Unterschied. Und wenn doch, dann nur, weil ich das noch nicht geändert habe. Jetzt habe ich eine Frage:
Warum führen wir dieses Gespräch am Telefon? Warum kommen sie nicht zu mir in mein Land?

Websat:
Da wird im Moment zu viel geändert. Aber trotzdem Danke für dies Gespräch.

Reta:
Na, wie war ich?

Websat:
Ziemlich authentisch. Meinst du, er hätte die Kröte geschluckt?

Reta:
Den Schwachsinn mit der unermesslichen Liebe?

Websat:
Genau!

Reta:
Kein Stück. Er hätte angenommen, dass mit dem Gedicht nur vorgetäuscht werden soll, dass es eigentlich umgekehrt ist. In Wirklichkeit ist es aber umgekehrt.

Websat:
Glaube ich nicht. Er hat einfach nicht verstanden, dass es der Satire wesenseigen ist…

Reta:
Erspar mir bitte den Rest und lass mich wieder in der Versenkung deines Computers verschwinden.

Websat:
Einverstanden! Betrachte dich als gelöscht!

© 2016 Erwin Grab