© Erwin Grab 2024

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Männer haben es ungleich schwerer als Frauen, wie uns das Studium der Weltgeschichte sehr anschaulich verdeutlicht. Es wird einfach mehr von ihnen erwartet, und das ausgerechnet von Frauen. 


 

 

 Von Geburt an werden Knaben von ihren Müttern darauf abgerichtet, irgendetwas Großes zu vollbringen, entweder als Feldherr wie Alexander der Große oder Cäsar, als Wissenschaftler wie Robert Koch oder Carl Röntgen, oder auch nur als Krösus wie Bill Gates. Bei Frauen ist man schon zufrieden wenn sie Ministerpräsidentinnen werden. Aber CDU-Parteivorsitzende reicht auch, und alle sind des Lobes voll, wenn eine Frau vier oder fünf Goldmedaillen bei olympischen Spielen holt oder eine eigene Zeitung herausbringt. Es ist die Erwartungshaltung der Mütter, die solche und ähnliche Katastrophen heraufbeschwören. Folglich wird ein Knabe nach seinem ersten Schrei als zukünftige Altersversorgung auserkoren. Ist er dann endlich Bundeskanzler, hat es einfach so kommen müssen. Beim ersten Fernsehinterview bei der dann weißhaarigen Mutter tritt diese bescheiden in den Hintergrund und flüstert mit leicht angedeutetem, trotzdem aber gut hörbarem Stolz: "Mein Sohn!" Wird eine hoffnungsvolle Tochter Weltmeisterin im Eiskunstlauf, so wird sie tränenüberströmt die Medaille küssen und zwei Worte in die Mikrofone stammeln: "Danke Mama!" – um dann bescheiden hinter ihrer Förderin zurückzutreten.

Zugegeben, für das Erreichen eines jeden großen Zieles muss  man sich anstrengen, egal ob Mann oder Frau. Aber Männer müssen und Frauen dürfen. Im Kindergarten beginnen bereits die Ungerechtigkeiten. Verdrischt ein fünfjähriger Rüpel seine gleichaltrige Nachbarstochter, so rennt sie kreischend nach Hause und wird mit Überraschungseiern getröstet. Der Übeltäter bekommt eine Woche Fernsehverbot. Rennt er heulend nach Hause, weil ihm die Evastochter eins übergebraten hat, so wird anerkennend bemerkt, wie gut sich das zarte Mädchen zu wehren weiß. Dem gefolterten Knaben wird die Weisheit vermittelt, dass ein Junge nicht zu weinen hat. Und wenn es noch so weh tut. Folglich bleiben ihm nur die Möglichkeiten Boxweltmeister oder manisch depressiv zu werden. Die Geschichtsbücher sind voll davon.

Im ferneren Leben hat der Mann es dann mit weiteren Regeln zu tun, die er einzuhalten hat. Wer diese aufgestellt hat, weiß kein Mensch mehr, aber sie behalten stur ihre Gültigkeit. So darf ein Mann erst zufrieden im hohen Alter die Augen schließen, wenn er einen Sohn gezeugt, einen Baum gepflanzt und ein Buch geschrieben hat. Eher nicht. Alles andere zählt nicht. Psychiater wissen zu berichten, dass ganze Generationen daran verzweifelt sind, weil sie das eine oder andere nicht geschafft haben, oder sich davor drücken wollten.

Genau an diesem Punkt beginnt mein persönliches Dilemma, denn ich stehe an der Schwelle des Alters, und es ist noch nicht alles vollzogen. Einen Baum habe ich in der Oberpfalz gepflanzt, und dieser wächst und gedeiht. Ein Sohn wurde gezeugt, aber der hat bereits aufgehört zu wachsen und befasst sich momentan mit anderem Wachstum. Aber das Buch. Wie schreibt man ein Buch? Geredet habe ich mehr als alle Enzyklopädien der Welt zusammen, aber eben nicht geschrieben. Und was für ein Buch? Welchen Inhaltes? Was habe ich der Welt mitzuteilen, auf das sich ferne Generationen meiner erinnern? In welche Worte kleide ich meine Gedanken, um den Leser in ein spannungsgeladenes Abenteuer zu verwickeln, das ihm den Schlaf raubt, oder aber ein weises Lächeln auf seine Lippen zaubert? Oder doch rein philosophisch? Was liest man denn heute so außer Asterix und der Bild-Zeitung? Goethe hatte es erheblich leichter, denn seinerzeit gab es noch kein Fernsehen, und er muss sich heute nicht mehr mit Kritikern herumärgern. Aber er lässt in einen seiner Stücke einen Theaterdirektor sagen:

"Wer vieles bringt, wird manchen etwas bringen. Und jeder geht zufrieden aus dem Haus!"

Also am besten von jedem etwas. Oder alles in einem. Wird nicht einfach sein, aber es wird von mir erwartet und ich muss mich der Aufgabe stellen. Wenn ein Mensch sich anschickt ein Buch zu schreiben, so kommt meistens ein Abbild seiner eigenen Gedanken oder seiner Lebensweise dabei heraus. Ausgenommen, er ist von Beruf Schriftsteller. Der kann alles. So wird man von Helmut Kohl kaum eine Sammlung humoristischer Schriften erwarten, und Harald Schmidt wäre nicht die Idealbesetzung zur Verfassung eines Drehbuches für die nächste Titanic-Verfilmung.

"Schuster bleib bei Deinen Leisten!" – sagt das Sprichwort, und es hat recht. Folglich kann bei mir nur Blödsinn in irgend einer Form herauskommen, denn darauf verstehe ich mich. Also "Frisch gewagt ist halb gewonnen" – setzte ich mich an meinen Computer, denn der hat ein Korrekturprogramm, und konnte so nach einigen Hektolitern Kaffee und ähnlichen Aufputschmitteln viele Seiten Blödsinn auf den Tisch legen. Aber was nun? Ein Buch ist erst dann ein Buch, wenn es in gedruckter und gebundener Form in den Regalen der Buchhändler steht, und das möglichst fehlerfrei. Kurz: Man braucht einen Verlag! Ein Verlag ist ein Unternehmen, das etwas verlegt. Manchmal so gut, dass es keiner mehr wieder findet. Man suche also einen Verlag, der sowohl seriös wie innovativ arbeitet, und der in der Lage ist, literarische Kostbarkeiten zu erkennen, um diese dann uneigennützig auf dem Weltmarkt zu platzieren.

Eine eilends einberufenen Konferenz mit meiner Frau ließ in uns die Überzeugung reifen, dass es nicht schwer sein könne, ein willfähriges Opfer zu finden. Denn Bücher sind heute eine Rarität, weil kein Mensch mehr liest. Man lässt heute lesen, und sei es nur in Form von schwachsinnigen Dialogen einiger Vorabendserien. Deshalb würde sich jeder der noch verbliebenen fünf Verlage die Hände reiben, um wieder mit einer Ausgabe auf die Bestsellerliste zu kommen. Außerdem würde ich ein Vermögen damit verdienen und künftig hochgeistige Antworten auf idiotische Fragen von Reportern geben.

Das Leben kann sehr schön sein, wenn man solche Zukunftsaussichten hat. Es war deshalb auch nicht besonders schwierig, aus den ca. zehntausend Buchverlagen im deutschsprachigen Raum den richtigen zu finden, der mein Werk den etwa 80.000 jährlichen Neuerscheinungen hinzuzufügen bereit war. Abzüglich der Jahresberichte der Bundesregierung, denn die liest keiner. Mit diesen tatsächlich aktuellen Zahlen konfrontiert, war die Ausgangsbasis für meine Verhandlungen etwas verschoben. Es muss männliche Autoren geben, die ihr Unvermögen, einen Sohn zu zeugen damit kompensieren – also ausgleichen –, dass sie gleich mehrere Bücher schreiben.

Wie ich zu der lächerlichen Auffassung käme, dass auch nur ein einziger vernunftbegabter Mensch ein Buch von einem unbekannten Schmierer kaufen würde. Und er, der Verleger würde dann mit tausender unverkaufter Machwerke dasitzen und sich mit dem Finanzamt rumärgern, um den Verlust abschreiben zu können. Ich solle das Telefonbuch neu verfassen, wurde mir angeraten, denn da sei die Auflage garantiert und kein Kritiker würde es besprechen. Höchstens in der Werbung.

"Aber was ist mit all den anderen?" – erlaubte ich mir zu fragen. 

"Auch Goethe war am Anfang unbekannt, und heute reißen sich alle um ihn."

Nur ein kindischer Hohlkopf würde sich mit dem Dichterfürsten vergleichen, erhielt ich zur Antwort. Wenn ich wenigstens einen Nobelpreis hätte, dann würde die Sache anders aussehen. Außerdem wäre Goethe im Nebenberuf Finanzminister gewesen, und es hätten ihm somit unbegrenzte Mittel zur Verfügung gestanden, ein Erstlingswerk zu veröffentlichen. Leider war mir gerade in diesem Moment nicht geläufig, ob Goethe vor oder nach seiner Erstveröffentlichung Minister war, und konnte nicht entsprechend argumentieren. 

Wenn sie schon bereit wären, sich mit der Veröffentlichung meiner Pamphlete zu blamieren, müsse ich einen eigenen, verschwindend kleinen finanziellen Beitrag zu den Produktionskosten beisteuern. Endlich waren wir beim Thema. Auf die höflich gestellte Frage, wie gering dieser Beitrag sein solle, wurde mir schweigend und rücksichtsvoll verdeckt eine Aufstellung zugeschoben. Die letzte, doppelt unterstrichene Zahl war tatsächlich verschwindend gering. Jedenfalls im Verhältnis zur Abfindung eines gefeuerten Managers aus der Autobranche. Hätte ich diese Summe besessen, würde ich auf den Bahamas in der Sonne sitzen und hochgeistige Getränke schlürfen. Und mit Verlegern und anderen Wegelagerern würde ich nicht einmal reden. Aber "Alea jacta est!" – Der Würfel ist gefallen – wie Gajus Julius zu sagen pflegte, wenn eine Entscheidung getroffen war. Da lag es auf dem Tisch des Verlegers: Mein geistiges Kind, mein Herzblut. Und es schrie nach Veröffentlichung und sollte nicht in irgend eine Schublade verlegt werden.

Der mir gegenüber sitzende Folterknecht weidete sich förmlich in meiner Verzweiflung, ließ sich dann aber herab, mir einen väterlichen Rat zu geben:

"Suchen Sie sich einen Sponsor!"

"Einen Sponsor?"

In meinem Sprachverständnis tauchen Sponsoren auf den Rücken von Fußballern und den Kotflügeln von Rennwagen auf. Lesbar sind sie in der Regel nur dann, wenn ein Spieler die rote Karte bekommt und deshalb wild gestikulierend vor dem Schiedsrichter steht, bzw. wenn in der Boxengasse in acht Sekunden Reifenwechsel durchgeführt wird. Die Sponsoren zahlen ein Vermögen in der Hoffnung, dass alle Welt nur noch ihre Produkte kauft. Irgendwie scheint die Rechnung aufzugehen, denn sonst würde es keiner machen.

"Wen könnte man denn für so etwas interessieren?" – war deshalb folgerichtig meine Frage, denn hier ging es ja nicht darum, elf Kicker als wandelnde Litfaßsäulen vor einigen Millionen Fernsehzuschauern laufen zu lassen, denn die kennt ja jeder Fußballfan und regt sich über sie auf. Über mich regt sich höchstens das Finanzamt auf, und das kommt als Werbeträger kaum in Frage.

"Nun ja, wir haben gute Erfahrungen gemacht mit den heimischen Banken, Verbänden, kulturell interessierten Firmen, aber auch an Ihrem Wohnort ansässigen Brauereien usw. Klappern Sie die mal ab, wir fangen inzwischen an zu drucken."

Damit stand erst einmal ich unter Druck, denn nun brauchte ich einen Sponsor.

An den heimischen Herd zurückgekehrt führten meine Frau und ich ein Krisengespräch.

"Du bist total verrückt!" – stellte sie fest und verlangte nach der Cognacflasche. Ich widersprach nicht, denn wer sich freiwillig hinsetzt um ein Buch zu schreiben ist nicht normal, sondern hat einen Knall. Zumindest einen fröhlichen. Diese zwingende Voraussetzung hatte ich mit Leichtigkeit erfüllen können.

"Ich gehe zu meinem Bürgermeister. Immerhin bin ich ein Sohn der Stadt."

"Mach Dich nicht lächerlich. Du bist ein Zugereister, also höchstens ein Findelkind. Und die mag keiner weil sie meistens nur rummeckern. Vergiss es!"

Ihr Argument hatte etwas für sich. Sponsoring seitens der Stadtverwaltung hätte mir genau diese Möglichkeit genommen. Denn wer beißt die Hand, die einen nährt? Allein der Gedanke, ich müsse dann der Mehrheitspartei, der absoluten Mehrheitspartei beitreten, erzeugte Schwindelgefühle und ließ mich nach dem Cognac greifen.

"Und unsere Hausbank?"

"Wie konnte ich nur auf so einen kindischen Mann hereinfallen? Von einer Bank bekommst Du Geld, wenn Du lückenlos nachweisen kannst, dass Du es eigentlich gar nicht brauchst."

Es tut weh, wenn man von seiner eigenen Frau in die Ecke gestellt wird. Besonders dann, wenn sie recht hat.

"Dann frage ich in der Brauerei. Immerhin ist ja auch eine immense Werbewirkung zu erwarten."

Die zu erwartende entmutigende Antwort stoppte ich mit einer traurigen Handbewegung. Mir war selber klar, dass von vielleicht einhundert verkauften Büchern kaum eine umsatzbewegende Werbewirkung ausgehen konnte. Besonders vor dem Hintergrund, dass mindestens die Hälfte an Anverwandte, Nachbarn und entfernte Bekannte verschenkt würden. Natürlich könnten wir unseren eigenen Bierkonsum verdoppeln, was uns aber höchstens auf eine Jahresleistung von vielleicht 40 Flaschen bringen würde. Vorausgesetzt, wir bekämen mehr Besuch.

Aber selbst bei angehenden Schriftstellern, die nachweislich an Narzissmus leiden, kommt irgendwann der Moment der Vernunft. Spätestens dann, wenn er von seinem treusorgenden Eheweib ernst und fragend angeschaut wird. Wenn ich schon mehr oder weniger alles selber bezahlen soll, und damit das Risiko der Vermarktung allein auf meinen schmalen schwachen Schultern liegt, dann brauche ich eigentlich keinen Verlag. Jedenfalls keinen, der alles, was daher kommt gerne annimmt, denn ob die Schwarte ein Erfolg wird oder nicht: Er hat Geld verdient. Wenn es nur darum geht, ein Buch zu drucken, dann brauche ich nur eine Druckerei. Davon gibt es genug, und die drucken auch alles. Vorausgesetzt, die Rechnung wird bezahlt, und der Inhalt der gedruckten Seiten ruft nicht gleich den Verfassungsschutz oder die Sittenpolizei auf den Plan.

Will man aber seinen Namen unsterblich in die Steintafeln der Dichter eingemeißelt sehen, muss man sich schon etwas mehr anstrengen, und einen Verlag suchen, der zwar viele Manuskripte zurückschickt („Wir bedauern, Ihnen mitteilen zu müssen...“), dafür aber genau prüft, ob das Geschriebene würdig ist, zukünftig die Regale der Buchhändler zu verstopfen.

Wenn Sie also dieses Buch in Händen halten, dann hat es ein Lektor für würdig erachtet, publiziert zu werden. Es bleibt mir also nur, Ihnen viel Vergnügen beim Studium der folgenden Seiten zu wünschen, verbunden mit dem Rat, keinerlei Kaufempfehlung gegenüber Mitmenschen zu äußern.

Im Widrigkeitsfalle drohe ich hiermit die Herausgabe eines Folgebandes in naher Zukunft an. 

© 2001 Erwin Grab