Humor ist, wenn man trotzdem lacht
Es war einer dieser berauschend schönen Sommertage, an denen ich die Anschaffung der sündhaft teuren Markise rechtfertigen konnte, den hochmodernen Grill, dessen Einkaufspreis meine Frau immer noch nicht wusste zum Einsatz bringen und sie, meine Frau meinen Rücken mit zufällig vorhandener Sonnemilch kräftig und dennoch zärtlich einreiben konnte.
Die Mückenplage war bereits vorüber und Wespen störten uns auch nicht, weil wir auf den sonst obligatorischen Erdbeerkuchen verzichteten. Das von mir selber in wochenlanger Kellerarbeit gebastelte Windrad drehte sich lustig im Winde, von einigen frechen Spatzen vehement beschimpft, weil sie sich immer darauf setzen wollten. Das Weißbier war frisch eingeschenkt und die Zeitung aktuell.
Allerdings konnte ich sie nicht lesen, weil meine Frau schneller gewesen war. Was bedeutete, dass ich hinterher zehn Minuten damit beschäftigt war, sie wieder in die richtige Reihenfolge bringen zu müssen. Denn mit der Tageszeitung verhält es sich, wie mit Frühstückssemmeln: Sie schmecken nur, wenn sie noch knusprig sind. Aber sei's drum.
"Hast Du Deinen Terminkalender zur Hand?" – unterbrach sie die sonntägliche Stille.
"Ich habe sogar in der Badewanne meinen Terminkalender parat!" – antwortete ich sarkastisch.
"Um was geht es denn?"
"Du musst am Donnerstag zu einem Symposium über Humor!"
"Du willst mich wohl erheitern!"
"Nein, ganz ernst! Hier wird eingeladen zu einem Symposium, um den Begriff Humor endgültig und definitiv zu erklären. Es haben sich schon jede Menge Wissenschaftler angesagt. Es wird bestimmt interessant, und Dir würde etwas Nachhilfeunterricht in Sachen Humor ganz gut tun."
Nachdenklich drehte ich das Weißbierglas in meinen Händen und betrachtete es ehrfürchtig. Weniger des Weißbieres wegen, sondern weil mir die Tatsache bewusst wurde, dass ich den Ankauf dieses Getränkes mit dem Abfassen mehr oder weniger humorvoller Geschichten finanziert hatte. Meine Frau hingegen war der Ansicht, ich benötigte Nachhilfeunterricht. War sie mit meinem Einkommen nicht zufrieden?
Ich befragte sie dahingehend. und erfuhr, dass es in einer Zeit, in der die Regierung dafür sorgt, dass es sonst überhaupt nichts zu lachen gibt, keine große Sache wäre, unbedarfte Mitbürger zu belustigen.
"Aber die Leute lachen darüber!" – verteidigte ich mich!
"Dass ich nicht lache. Sie grinsen vielleicht. Und das auch nur gequält. Geh', und mach Dich kundig!"
Damit warf sie mir die Zeitung in den Schoß. Der entsprechende Artikel war bereits rot angestrichen, und demnach fand die hochwissenschaftliche Veranstaltung tatsächlich am kommenden Donnerstag im Ballsaal eines bekannten Hotels statt. Bisher hatte ich mir noch nie Gedanken darüber gemacht, was Humor ist. Was er bewirkt, weiß ich sehr wohl zu unterscheiden. Konnte man es nicht einfach dabei belassen?
Natürlich ist es durchaus interessant herauszufinden, wie unsere Atemluft beschaffen ist, aber die meisten Menschen sind damit zufrieden, wenn sie atembar ist. Und Humor ist bekanntlich, wenn man trotzdem lacht, oder? War das nun eine Situation, in der man trotzdem lachen musste? Oder wenigstens sollte? Die Sache begann, mich zu interessieren, und schaden konnte das alles sicher nicht.
Es galt also, sich nicht nur während des Symposiums kundig zu machen, sondern möglichst schon vorher kundig zu sein. Die einschlägige Literatur würde dabei helfen. Meine wohlsortierte Bibliothek enthält von A wie Aschenputtel bis Z wie Zuckmayer einiges, aber bei H fand ich nur Hadschi Halef Omar. Nichts von Humor. Über Lachen schon. Und was dabei passiert. Es gibt sogar Lachforscher. Gelotologen nennen sie sich, abgeleitet vom griechischen Gelos, was Lachen bedeutet. Lachende Menschen leben demnach gesünder, denn Lachen ist ja die beste Medizin. Wenn man lacht, schüttet das Gehirn literweise ein Hormon namens Endorphin aus. In seiner Wirkung sei es dem Morphium ähnlich, wirke also luststeigernd. Wird man davon vielleicht sogar süchtig?
Aber wodurch wird es ausgelöst? Ist Lachen überhaupt Humor? Oder setzt Lachen nur Humor voraus? Hatte der Scharfrichter, der Marie Antoinette unters Fallbeil legte, Humor, nur weil er dabei laut lachte? Vielleicht war das eine ganz besondere Art von Humor. Wenn ja, wie viel Arten gibt es?
Es wurde tatsächlich Zeit, dass diese Fragen endlich wissenschaftlich ergründet und dokumentiert wurden, denn ich stellte mit Entsetzen fest, dass ich mein ganzes Leben lang oft und gerne gelacht hatte, ohne zu wissen warum. Was auch nur bedingt stimmt, denn natürlich hatte ich immer gewusst, warum ich lachte; über einen Witz, eine komische Situation, einen blödsinnigen Film, aber auch über das Lächeln eines Kindes. Schon wieder ein Unterschied. Worüber lacht man, worüber grinst man, und wann ist es angebracht zu lächeln?
Es ist beruhigend zu wissen, dass man in solchen lebensbedrohenden Situationen nicht allein ist. Wir, das Volk der Dichter und Denker würden es uns nicht nehmen lassen, diese Lücke im Wissen der Menschheit zu schließen. Oder war es vielleicht nur das international anerkannte Bestreben, alles besser wissen zu wollen? Artete das Ganze vielleicht dahingehend aus, dass wir hinterher zwar wissenschaftlich fundiert wissen, was Humor ist, gleichzeitig aber feststellen müssen, dass wir keinen haben? Jedenfalls behaupten das die Briten von uns. Und wenn sie recht haben? Ich erschrak vor dem Gedanken, dass ich zukünftig Tragödien schreiben müsse, denn dieser Gedanke gefiel mir ganz und gar nicht.
Wenn das Lachen nun so gesund und luststeigernd sein soll, warum ist es dann so schwer, Menschen zum Lachen zu bringen? Wird doch schon die Komödie als Königsklasse des Theaters bezeichnet, und jeder einigermaßen ausgebildete Schauspieler weiß, dass es viel leichter ist, Menschen zum Weinen zu bringen. Man nehme eine Gummipuppe mit langen schmalen Fingern, male sie leichenblass an und werfe sie in einen Abwasserkanal. Wenn diese Puppe dann noch E.T. heißt und mit letzter Kraft "Ich will nach Hause telefonieren!" haucht, löst sich eine ganze Nation von Kinobesuchern in Tränen auf. Für Bob Hope, den berühmten amerikanischen Komiker, mussten sich hingegen 25 Witzesammler die Finger wund schreiben, um einen einzigen Lacher zu erzeugen. Aber ich komme vom Thema ab. Lachen und Humor müssen nicht einhergehen, und hier ging es nur um den Humor.
Das Lexikon enthüllte mir eine bittere Wahrheit: Humor ist kein deutsches Wort, sondern stammt aus dem lateinischen. Sollten die Briten etwa recht haben? Wer aber nun glaubt, Humor entspränge dem gleichen Wortstamm wie zum Beispiel human, was menschlich bedeutet, der hat nicht nur weit gefehlt, sondern muss entsetzt zur Kenntnis nehmen, dass der Humor nach der antiken und mittelalterlichen Medizin auf die den Charakter prägenden Körpersäfte zurückgeht.
Körpersäfte? Waren damit die Tränen gemeint, die manch Lachender schon vergossen hat? Oder, dass man sich auch an anderer Stelle vor Lachen nass machen kann? Weiter ist beschrieben, dass Humor später dann als das Gewahrwerden des Eigentlichen in einer uneigentlichen Erscheinungsform aufgefasst wurde. Der geneigter Leser wird mir zustimmen, dass es sich tatsächlich um eine todernste, hochphilosophische Angelegenheit handelt. An anderer Stelle steht verzeichnet, dass es sich um eine ursprünglich aus der Säftemischung des Körpers erklärte Laune handele. Ein Humorist jedoch ist ein Stimmungsmacher oder auch launiger Schriftsteller. Das klingt schon versöhnlicher, denn launig ist besser als launisch.
Von sämtlichen vorhandenen Unterlagen wurden Kopien angefertigt und sauber in einen Schnellhefter geklemmt, denn Vorbereitung ist alles. Solcherart gewappnet kleidete ich mich am Donnerstag morgen in ein lustiges T Shirt, auf dessen Brustseite das Porträt eines meiner Lieblings-Comic-Helden namens Lucky Luke prangte. Es sollte ja lustig werden, und im Fasching zieht man sich auch lustig an. Meine Frau schlug entsetzt die Hände über dem Kopf zusammen und begann, an meinem Verstand zu zweifeln.
"Hast Du noch alle Tassen im Schrank? Keinen Meter kann man Dich alleine gehen lassen, ohne dass Du Dich blamierst. Du ziehst Dich sofort um!"
Sprach es, und kramte einen festlich anmutenden Zweireiher aus dem Schrank, nebst blütenweißem Hemd, passender Krawatte und dunklen Socken.
"Aber es geht um Humor! Da wird es lustig zugehen." – versuchte ich mich zu verteidigen.
"Nichts da! Humor ist eine ernste Angelegenheit und da musst Du entsprechend angezogen sein."
Sie hatte wieder einmal recht, die Gute. Mit meinem bunten Hemd hätten sie mich gar nicht reingelassen. Wäre der Saal noch mit weißen Chrysanthemen geschmückt gewesen, hätte ich geglaubt, einer Trauerfeier beizuwohnen, und beim Anblick der anderen, düster dreinblickenden Teilnehmer war ich mir nicht mehr sicher, ob eine solche nicht lustiger vonstatten ginge. Jedenfalls nach dem Begräbnis. Sollte der Humor hier nicht nur erklärt und erforscht, sondern vielmehr zu Grabe getragen werden? Ehrfürchtiger Schauer durchzuckte mich, und ich machte mich bereit, meinen Humor, wenn er denn vorhanden ist, mit Zähnen und Klauen zu verteidigen.
Das Eröffnungsreferat wurde von einem hochgelehrten Wissenschaftler mit getragener, also völlig emotionsloser und somit dem Ernst der Situation angepasster Stimme abgelesen. Einmal verhaspelte er sich, und im Bundestag hätte die Opposition jetzt lauthals gelacht. Uns war nicht zum Lachen zumute. Da ich inzwischen in Sachen Humor belesen war, konnte ich sogar eines der Fremdworte, nämlich Endorphine klar verstehen. Deshalb meldete ich mich, nachdem die Diskussion freigegeben worden war sogleich zu Wort:
"Wenn Humor ursächlich auf die Körpersäfte, bzw. auf bestimmte Hormone zurück zuführen ist, brauchen wir doch jeder nur eine Blutprobe ins Labor zu schicken, und wissen zwei Tage später, wer besser ist: Die Engländer oder wir. Und den Blödsinn mit dem Eigentlichen in seiner uneigentlichen Form vergessen wir ganz einfach."
Welchen akademischen Grad ich besäße und welcher Fakultät ich angehöre, verlangte der Diskussionsleiter zu wissen.
"Keiner. Ich lache nur gerne!"
Eisiges Schweigen ringsum. Jetzt konnte ich Max Schmeling verstehen, der einen Boxer als den einsamsten Menschen der Welt bezeichnete. Ich war ausgestoßener Abschaum, des Lachens unwürdig und schuldig eines schweren Vergehens. Ich hatte mich nicht nur als unwürdiger Laie eingeschlichen, sondern die Versammlung durch unflätige Worte aufs Tiefste beleidigt. Klar, dass das Mikrofon sofort stummgeschaltet wurde, und ein Saalordner auftauchte, der mich dezent, aber sehr bestimmt auf meinen Platz dirigierte. Leute wie ich hatten hier nichts zu suchen.
Dafür baute sich ein kleines dürres Männlein hinter dem Rednerpult auf. Tiefe senkrechte Falten hatten sich auf seiner Denkerstirn eingegraben und man sah ihm förmlich an, dass die Sorgen von 5000 Jahren Menschheit auf seinen schmalen, schwachen Schultern lasteten.
"Wir wollen uns doch wieder ernsthaft dem Thema widmen," – begann er mit hoher Fistelstimme – "und uns, entgegen der Ansicht meines Herrn Vorredners der Definition des Humors als Gewahrwerdung des Eigentlichen in seiner uneigentlichen Erscheinungsform zuwenden."
Mit Vorredner hatte er mich gemeint.
"Dazu ist es notwendig, zu vorderst den Begriff des Eigentlichen zu erläutern, da er im Laufe der Sprachverzerrung seinen eigentlichen, also dem ihm wesentlich eigenen Sinn verloren hat. Lassen Sie mich ein Beispiel bringen: Die uns allen bekannte Fichte, einen heimischen Nadelbaum nehmen wir vermehrt in seiner uneigentlichen Erscheinungsform wahr, nämlich in mehr bräunlichem Farbton, denn das Eigentliche an ihr zeichnet sich durch eine kräftige grüne Farbe der Nadeln aus!"
"Finden Sie das etwa lustig?" – rief ich laut aus, weil ich nicht anders konnte.
"Haben Sie ein besseres Beispiel, Herr Kollege?" – kam die hämische Antwort.
"Der Kanarienvogel hat zwei gleich lange Beine. Besonders das linke!" – antwortete ich, wie aus der Pistole geschossen, erntete aber keinen einzigen Lacher.
"Wenn Sie in der Lage sein sollten, das näher zu erklären, würde ich doch sehr bitten!" – wurde ich aufgefordert.
"Nun, die eigentliche Erscheinungsform des Kanarienvogels stellt sich uns mit normalerweise gleich langen Beinen dar. Mit zwei gleich langen Beinen, um genau zu sein. Sollten wir durch irgendeinen Umstand in die Lage versetzt werden, ausgerechnet das linke Bein als besonders gleich lang anzusehen, so haben wir es hier mit dem uneigentlichen der eigentlichen Erscheinungsform zu tun, und das ist irre komisch. Oder so!"
"Und? Können Sie darüber lachen?" – wurde ich gefragt. Nun, ein erklärter Scherz ist kein Scherz mehr, wie ein geflügeltes Wort schon sagt, und mir fiel die Weisheit von Rudolf Presber ein:
"Humor ist, was man nicht hat, sobald man es definiert!"
Mit großer Trauer im Herzen verließ ich den Saal und nahm mir vor, den nächsten Urlaub auf der britischen Insel zu verbringen, um mich dort mit dem berühmten englischen schwarzen Humor voll zusaugen, damit es ein ganzes Jahr hält. Sang doch schon Nana Mouscouri das wunderschöne Lied von der heimlichen Liebe, dessen Refrain lautet:
‚Heimliche Liebe, wer dich beschriebe, der vertriebe dich mit nur einem Wort’!
Wer versucht, Humor zu erklären, beweist nur eines: Dass er keinen hat. Und wir wollten sogar eine Wissenschaft daraus machen. Jedenfalls ein paar. Ich hoffte mit ganzem Herzen, dass sich die Zahl der Wissbegierigen auf die Spinner im Saal beschränkte, denn sonst sah es düster aus in deutschen Landen. Pressevertreter hatte ich keine gesehen, also konnte der Zirkus ohne große Folgen vorübergehen. Trotzdem bohrte in mir die Frage: Haben wir nun Humor oder nicht? Ich blieb stehen, weil die Fußgängerampel auf rot schaltete. Die wartenden Autos bekamen Grün. Der erste Wagen hoppelte mühsam einen Meter nach vorne, um dann stehen zu bleiben, weil der Fahrer den Motor abgewürgt hatte. Der Zweite konnte nicht mehr bremsen und rummste hinten drauf. Nicht schlimm, mehr ein kleiner Bummser. In Erwartung eines erregten Gesprächs, das mein Repertoire an Schimpfworten bereichern konnte, blieb ich stehen. Beide Fahrer stiegen aus, sahen sich an, zuckten bedauernd mit den Schultern und... lächelten sich an.
Da war sie: Die Wahrnehmung des Eigentlichen in seiner uneigentlichen Erscheinungsform. Mit frohem Herzen schritt ich heimwärts. Es gab noch Hoffnung.
© 2003 Erwin Grab