Esoteriker im Haus
Es war nicht leicht gewesen, aber schließlich hatte doch die Vernunft gesiegt und wir konnten uns gegen eine wahre Flut von Bewerbern durchsetzen und hatten den Zuschlag zur Anmietung einer wirklich hübschen Dreizimmerwohnung in bester Lage erhalten.
Es handelte sich um die obere Etage in einem Reihenmittelaus, erbaut in einem freundlichen, sauber aufgeräumten Dorf, nur zehn Autominuten von der nahen Großstadt entfernt. Eine wahre Oase der Ruhe und Erholung.
Der zur unteren Wohnung gehörende kleine Garten war gepflegt und, von leicht im Winde sich wiegenden Fichten und einer halbhohen Hecke eingerahmt. Das Schönste aber war die Dachterrasse, die zum größten Teil vom tief heruntergezogenen Dach beschützt wurde, und so ein Verweilen und Ausruhen selbst bei Regenwetter möglich war. Wir freuten uns auf erbauliche, mit ernsten oder auch heiteren Gesprächen aufgelockerte Abende bei Kerzenschein. Sicher gab es eine Nachtigall in der Nähe, die uns mit ihrem nächtlichen Gesang verwöhnen und den Schlaf versüßen würde.
Eine Woche nach dem Umzug war alles aufgebaut, eingeräumt und wir begannen, uns wohl zufühlen. Drei immerwährende Kartons waren in unserem Kellerabteil zwischengelagert. Ich bin sicher, dass es in jedem Haushalt solche Behältnisse gibt. Es handelt sich um Umzugskisten, die in der ersten Einzugshektik nicht ausgepackt werden, und dann unter dem Vorbehalt der baldigen Versorgung irgendwo aufeinander gestapelt werden. Sie bleiben dort stehen bis zum nächsten Umzug und kein Mensch vermisst den Inhalt.
Der Umzug hatte an einem Montag stattgefunden. Meine Frau und ich hatten uns für die ganze Woche beurlauben lassen und hatten geplant, in dieser Woche fertig zu werden, um dann ein erholsames Wochenende zu genießen. Die Rechnung ging auf, und meine Frau hatte wieder einmal Gelegenheit, meine vorausschauende Denkweise zu bewundern.
Der Samstagmorgen begrüßte uns mit strahlendem Frühlingswetter. Bunte Singvögel tollten fröhlich und lebensbejahend vor dem Schlafzimmerfenster und bejubelten den jungen Tag. Wir beteiligten uns mit frisch aufgebrühtem Kaffee, den ich ans Bett serviert hatte. Das Leben ist schön, wenn alles seine Ordnung hat, und diese Ordnung außerdem in den gewünschten Raster passt. Plötzlich drang ein ungewohntes Geräusch durch das weit geöffnete Fenster. Nicht unbedingt störend wie beispielsweise ein startendes Düsenflugzeug, aber unbekannt und deshalb besorgniserregend. Es handelte sich um einen Ton im unteren Frequenzbereich und konnte mit etwas Phantasie als "OMMMMMMM" interpretiert werden.
Das menschliche Gehirn ist ein äußerst leistungsfähiges Wunderwerk. Es speichert alle im Laufe eines Lebens gemachten Erfahrungen sicher ab. So auch alle Geräusche, die ihm über die Ohren zur Kenntnis gebracht wurden. Die mit den jeweiligen Geräuschen einhergehenden Erfahrungen werden ebenfalls gespeichert und im Ernstfall zugeordnet. Folglich löst die Stimme der Schwiegermutter am Telefon den sofortigen Ausstoß einer erheblichen Adrenalinmenge aus, denn es ist Gefahr in Verzug. Wird hingegen ein neues Geräusch wahrgenommen, fragt die graue Masse in unserem Kopf alle Datenbanken ab, um nach erfolgloser Suche die Meldung "File not found!" auszugeben. Gleichzeitig leitet dieses Wunderwerk automatisch einen Denkprozess ein, um sich durch ständigen Vergleich der vorhandenen Daten einer logischen Erklärung anzunähern.
So auch bei "OMMMMMMM". Es handelte sich wahrscheinlich um eine menschliche Stimme männlichen Geschlechts, die jetzt seit mehreren Minuten alle 15 Sekunden diese Laute ausstieß. Die Abfrage der Datenbanken meines Gehirns, die für Fremdsprachen zuständig sind, ergab eine negative Auskunft. Es war kein Hilferuf in einer mir bekannten Sprache, höchstens noch in Suaheli. Nach ca. fünf Minuten verstummte "OMMMMMM", und ging in einen eigenartigen Singsang über. Irgendwie schon melodisch, aber keiner gewohnten Musik ähnlich. Gebannt lauschten wir den Gesängen aus dem Untergeschoss, die sich nach längerem Zuhören einem bestimmten Ritual zuordnen ließen, weil sich die Tonfolgen wiederholten. Nach weiteren 10 Minuten kehrte wieder Ruhe ein.
Wahrscheinlich hatte der Nachbar nur an seinem Radio gespielt, oder ein neues Dampfbügeleisen getestet. Wir schenkten unsere Aufmerksamkeit wieder dem Kaffee, der inzwischen kalt geworden war und auch so schmeckte, und vergaßen die ganze Angelegenheit. Bis zum darauffolgenden Sonntagmorgen. Wieder war es genau zur Kaffeezeit, als "OMMMMMM" erklang. Jetzt konnte es kein Zufall mehr sein, da steckte die Absicht eines planvoll vorgehenden Individuums dahinter, und der Sache musste ich auf den Grund gehen.
Die erste Gelegenheit ergab sich am selben Nachmittag, als wir uns zufällig im Hausflur trafen. Wir luden unsere neuen Nachbarn ein, am Abend eine Flasche Wein mit uns zu trinken, was dem besseren Kennenlernen zugute kommen sollte. Der Abend verlief ausgesprochen harmonisch. Wir diskutierten die weltpolitische Lage genau so ernsthaft wie die Einstellung der Heizungsautomatik und verstanden uns prächtig. Ein nettes Paar. Nicht verheiratet, aber man kann nicht alles haben. Er wollte Korbinian genannt werden. Dies sei zwar nicht sein Taufname, aber er wünsche es so. Nun ja, wenn es sein Wunsch ist. Zu vorgerückter Stunde machte ich ihn mit meiner wohlsortierten CD- und Plattensammlung bekannt, die sich rühmt, für jeden Musikgeschmack etwas bieten zu können. Ausgenommen Helge Schneider. So schaffte ich elegant die Überleitung zu den morgendlichen Geräuschen aus der Parterre-Wohnung und stach damit förmlich in ein Wespennest.
Dieses morgendliche "OMMMMMM" würde seinen Geist in die kosmische Mitte rücken und ihn fit für den Tag machen. Ich solle es probieren.
"OM"
"Nein! Viel länger und die Betonung auf das "MMMMM" legen. Der ganze Kopf muss dabei in Schwingungen versetzt werden und leicht vibrieren. Ungefähr so: OMMMMMMMM!"
Wahrscheinlich war langjähriges Training erforderlich, um die für die kosmische Mitte notwendigen Frequenzen erzeugen zu können. "Und der Schwanengesang hinterher?"
Diese Bemerkung war unpassend, denn Korbinian erklärte mir entsetzt, dass Schwäne nur singen würden, bevor sie ihren nahen Tod spüren. Ansonsten wären sie stumm wie ein Fisch. Sein Gesang hingegen wäre ein Ausdruck der Lebensfreude. Der Kosmos müsse wissen, dass es ihn gebe und er alle Energien brauche, um den Tag zu überstehen. Je nach erhaltener Antwort aus dem All würde er einen Glücksstein aus seiner umfangreichen Kollektion aussuchen, diesen an einer handgeschmiedeten silberne Kette befestigen, die er stets tragen würde. Und er zeigte sie mir. Ein schweres Monstrum, mit dem man ein Pferd hätte fesseln können.
Gegen elf Uhr wurde der Kennenlernabend beendet, denn Korbinian wollte auf keinen Fall den Aufgang des Vollmondes verpassen, um im Garten, dessen Pflege ihm oblag, vierblättrige Kleeblätter in einer nur ihm bekannten glücksverheißenden Anordnung zu pflanzen. Merkwürdig! Manchmal braucht es nur Stunden, um den Wohnwert einer Immobilie ins Bodenlose sinken zu lassen. Wo waren wir hingeraten? Lebten wir zukünftig mit indischen Gurus, Mondanbetern oder einfach nur Spinnern zusammen? Wir, meine Frau und ich beschlossen auf der Hut zu sein und uns vom morgendlichen "OMMMMMM" nicht stören zu lassen.
"Esoteriker! Das sind Esoteriker!" – fiel es meiner Frau schuppenartig von den Augen.
"Und was, bitte ist das?" – erbat ich zu erklären.
"Keine Ahnung. So eine Art UFO-Leute. Das sind die, die laufend UFO's am Himmel sehen!"
Ich wollte in meiner Nachbarschaft keine UFO's am Himmel, sondern Nachtigallen im Baum. Und kein morgendliches "OMMMMMM!"
Man muss analytisch vorgehen mit Hilfe entsprechender Fachliteratur. Das Fremdwörter-Lexikon brachte alles durcheinander. Demzufolge bedeutet Esoterik eine Erweckung von innen her. Ein Esoteriker jedoch sei ein Mensch, der „in das innere der Gedanken eingreift“. In die eigenen? Oder etwa in meine? Waren das Telepathen? Waren unsere Gedanken nicht mehr frei? Kannten die schon meine Meinung über den Bundeskanzler? Stand der Verfassungsschutz schon vor der Tür?
Das Eigenschaftswort 'esoterisch' wurde hingegen einfach mit 'geheim' übersetzt. Geheim ist etwas, was sonst keiner weiß. Mit Ausnahme der Geheimnisse, die meine Frau mit ihrer besten Freundin teilt. Denn die sind streng geheim, weil gemeingefährlich und stehen immer unter dem Damoklesschwert mehrerer Beleidigungsklagen. Meyers großes Standardlexikon brachte mehr Licht in die Dunkelheit. Denn hier stand hinter dem Stichwort esoterisch:
"Nur für einen ausgesuchten Kreis von Eingeweihten bestimmt!"
Also nicht ganz geheim. Nur für die, die es nichts anging oder keine Ahnung hatten. Es ging uns was an, denn unsere Nachbarn sangen morgens "OMMMMMM!" Folglich war es mehr als verständlich, dass wir auch Ahnung haben wollten, ob demnächst bei Vollmond UFO's in unserem Garten landen würden. Wir beschlossen, den Kontakt mit Korbinian und seiner netten Freundin zu pflegen, beide geschickt auszuhorchen, dabei aber eine gewisse Distanz zu wahren. Schon der Gedanke, ich würde als Anhänger dieser Leute in der nächsten Mittsommernacht in wallende Gewänder gekleidet (oder sogar ganz ohne Kleider) auf irgend einem mystischen Berg über lodernde Feuer springen und Fruchtbarkeitstänze aufführen, trieb mir die Schamesröte ins Gesicht.
Diskussionen über die Möglichkeit interstellarer Reisen per fliegender Untertasse sollten möglichst vermieden werden, obwohl ich mich als Besitzer und Leser der einschlägigen Fachliteratur von Erich v. Däniken durchaus als Fachmann bezeichnen darf. Am nächsten Tag fielen uns dann einige Dinge auf, die wir zwar schon gesehen, ihnen aber keine Bedeutung beigemessen hatten. So war der fünfzackige Stern an Korbinians Wohnungstür unschwer als Drudenfuß oder Pentagramm zu erkennen. Wir hatten bisher gedacht, es wäre lediglich vergessener Weihnachtsschmuck. Wir wurden also nach Meinung unserer Mitbewohner von Druden belagert, die es mit diesem magischen Zeichen abzuwehren galt. Der Kenner weiß, dass mit Druden eine bestimmte Sorte von Hexen bezeichnet werden, die angeblich für das Alpdrücken verantwortlich sind. Bisher war ich der Meinung gewesen, schlechte Träume werden durch den Genuss von fettem Käse am späten Abend ausgelöst. Oder vom schlechten Gewissen nach einer Kegeltour.
Dann fiel uns auch auf, dass die dicken, hübsch bemalten Steine im Garten nicht der Auflockerung dienten, sondern auch für mystische Zwecke herhalten mussten. Denn die aufgemalten Zeichen waren ganz eindeutig Runen germanischen Ursprungs. Es wurde offensichtlich, dass wir einige Flaschen unseres kostbaren Weines opfern mussten, um den ganzen Hokuspokus verstehen zu können. Wobei ich mir nicht sicher war, ob ich ihn überhaupt verstehen wollte, denn verstehen heißt auch billigen. Wir lernten sehr viel bei unseren Gesprächen, die eigenartigerweise immer bei Kerzenlicht stattfanden. Aber vielleicht wollten sie auch nur Strom sparen. So wurden wir genauestens informiert über die Bedeutung und Wirksamkeit der verschiedenen Glückssteine, wann, wo und wie man sie zu tragen hätte, damit sie auch ihre volle Wirksamkeit entfalten können und das der Gang einer schwarzen Katze von rechts nach links über einen kurzen Weg unweigerlich den Untergang der Welt zur Folge hätte. Unsere Katze ist dunkelgrau, also gab es noch eine Chance. Außerdem geht sie zwar des öfteren von rechts nach links über kurze Wege, aber genau so oft von links nach rechts. Damit müsste das kosmische Gleichgewicht wiederhergestellt sein.
Panik brach bei uns aus, als wir erfuhren, dass ein zerbrochener Spiegel eine siebenjährige Periode des Unglücks nach sich ziehen würde. Ohne die geringste Chance einer Gegenwehr. Und einer der sechs Spiegel, mit denen unser Schlafzimmerschrank außen verkleidet ist, hatte beim Umzug oben links eine kleine Ecke eingebüsst. Uns hatte das bisher nicht gestört, denn in 180 Zentimeter Höhe können wir uns sowieso nicht sehen. Nun gut, er war ja nicht zerbrochen, sondern nur beschädigt. Vielleicht bedeutete das nur, dass ich jetzt öfter im Stau stehen würde. Es erschreckte mich jedoch, dass ich überhaupt darüber nachsann, welches Unglück mir demnächst zuteil würde. Und das mir, einem lebensbejahenden Menschen, der mit positiven Gedanken durch die Welt geht.
Eine eilends durchgeführte Krisensitzung mit meiner Frau erbrachte das Ergebnis, dass wir so schnell wie möglich den ganzen Wirrwarr beenden sollten. Denn beide merkten wir, dass der Glaube, den wir beide gerne haben, unmerklich Raum ließ für den von uns so bezeichneten Aberglauben. Sagt nicht schon Goethe: „Das Völkchen merkt den Teufel nicht, selbst wenn er es am Kragen packte?“ Darüber hinaus widerstrebte es meinem logischen Verständnis, zukünftige berufliche Erfolge vom Tragen eines bestimmten Steines abhängig zu machen und war auch nicht bereit, nur noch bei Vollmond geernteten Spargel zu essen. Wenn möglich noch bei dem Licht und Geruch einer speziell dafür komponierten Räucherkerze. Und Alpträume will ich auf den Genuss von fettem Käse schieben und mich beim Erwachen vielmehr darüber freuen, dass ich überhaupt aufgewacht bin, und dass draußen die Sonne scheint.
Das Problem war nur, dass es unsere Nachbarn waren, die wir vor den Kopf zu stoßen hatten, ohne das durchaus gute nachbarschaftliche Verhältnis zu stören. Denn sonst waren sie ja ganz nett. Und das morgendliche "OMMMMMM" sahen wir inzwischen ganz gelassen, denn es ersparte uns den Wecker.
Also begannen wir vorsichtig unsere Zweifel anzumelden mit Äußerungen wie:
„Also wirklich! Glaubt Ihr das ernsthaft?“, oder:
„Widerspricht das nicht jeder menschlicher Logik?“
Aber wir hatten die Rechnung ohne den Wirt gemacht, denn jetzt wurden Beweise in gedruckter Form aufgetischt. Es ist schier unglaublich, wie viel Literatur es über Esoterik und esoterische Randerscheinungen auf dem Markt gibt. Ganze Verlage leben davon. Bücher über UFO’s und Wiedergeburten. Das war übrigens der Grund für Korbinians „Künstlernamen“. Er war der festen Überzeugung, in einem früheren Leben Korbinian geheißen zu haben und wollte dies damit zum Ausdruck bringen.
„Es gibt viel mehr zwischen Himmel und Erde, als Ihr euch erträumen könnt!“, war sein stärkstes Argument.Damit hatte er Recht. Alleine die Tatsache, dass vernunftbegabte Menschen, deren erste Lebenshälfte von den Eltern vermiest worden war, freiwillig Kinder in die Welt setzen, um sich die zweite Hälfte ihres kostbaren Daseins von denen vermiesen zu lassen, kann nur so erklärt werden (Herzlichen Dank an Sissi Perlinger für diese kostbare Lebensweisheit!). Nein, wir mussten sie mit den eigenen Waffen schlagen. Für den nächsten Abend war ein Gespräch über Sinn oder Unsinn von Horoskopen vereinbart. Da kam unsere Chance, denn meine Abneigung gegen diese Art von Zukunftsdeutung geht soweit, dass ich auf die Frage, unter welchem Sternzeichen ich geboren wurde, grundsätzlich mit „Orion“ antworte. Denn das ist eines der wenigen Sternbilder, die ich als astronomischer Laie klar am Himmel erkennen kann, und das mit Sicherheit auch zum Zeitpunkt meiner Geburt da oben zu sehen war. Warum also nicht? "Weißt Du, wie viel Sternlein stehen?" fragt schon das schöne Abendlied. Nein, wir wissen es eben nicht, denn es gibt einfach zu viele davon. Aber ausgerechnet 12 Gruppierungen von diesen unzählbaren Lichtpunkten sollen mitentscheidend für meinen Lebenslauf sein? Das folgende Lehrgespräch begann damit, dass Korbinian als Beweis für die Richtigkeit sein Tageshoroskop aus irgend einer Zeitung zitierte:
‚Sie werden heute alles erledigen, wenn sie es richtig anpacken!’
Und er zählte auf, was er alles erledigt hatte. Ich war begeistert, denn diesen Satz kannte ich schon von meinem Lateinlehrer und er hat nichts von seiner Richtigkeit eingebüßt. Dann folgte ein Monolog über die richtige Partnerwahl, die bei Korbinian natürlich nur nach der Zugehörigkeit bestimmter Tierkreiszeichen erfolgt war. Demnach war es ihm völlig unmöglich, mit einer Jungfrau ins Bett zu gehen. Ich sah das anders. Dabei stellte sich auch heraus, dass alles zusammen passen würde, ausgenommen meine Frau und ich. Die Katastrophe fand seit Anbeginn unseres Zusammenlebens statt, wir hätten es nur noch nicht bemerkt. Nach einem Blick in die lächelnden Augen meiner Frau war ich dem Schicksal dafür dankbar, dass uns das keiner vorher gesagt hatte. Nicht auszudenken, auf was wir da verzichtet hätten.
Mein Argument für den Todesstoß hatte ich mir aber für den Schluss aufbewahrt. Einer Zeitungsmeldung hatte ich entnommen, dass Gerhard Schröder und ich am selben Tag geboren wurden. Wir sind tatsächlich auf den Tag gleich alt. Und unsere Geburtsorte liegen nur 150 Kilometer auseinander. Das kann nicht so viel Unterschied ausmachen. Und was ist aus uns geworden? Gerhard Schröder wurde Bundeskanzler und ich bin ein Schreiberling, der nichts anderes als Blödsinn von sich gibt!
Oder sollten sie doch recht haben?
© 2002 Erwin Grab