© Erwin Grab 2024

windelMünchner Gerichtswindeln

Und wieder stand die uralte Menschheitsfrage im Raum: „Warum ich? Warum immer nur ich?“ Und wieder glaubte der Fragesteller die ewige Antwort zu hören: „Wer denn sonst!“


 

 

 


Der Fragesteller, ein hoher… ein sehr hoher Beamter eines Oberlandesgerichts stand vor der wohl schwierigsten Entscheidung seiner Karriere, während ihn der Typ, der ihm gegenüber saß, impertinent angrinste. Vor ihm auf seinem blankpolierten Schreibtisch ausgebreitet lagen verschiedenfarbige Modelle von Windeln. In verschiedenen Größen mit unterschiedlichen Fassungsvermögen von 3,2 bis 5,1 Liter Flüssigkeit.

Angesichts des großen Medienrummels und der weltweiten Aufmerksamkeit um die Vergabe der Presseplätze für den Jahrhundertprozess gegen Beate Tschäpe, war seine Sensibilität bis zum Äußersten ausgereizt. 

Zugegeben: Der Amtsschimmel war laut wiehernd durch die Gerichtssäle galoppiert und hatte an allen möglichen Ecken seine Notdurft verrichtet, die zu beseitigen es eines noch höheren Gerichts bedurfte.

Aber die nach der Stallausmistung getroffene Regelung hatte ein Problem außeracht gelassen. Nicht nur Amtsschimmel, sondern auch akkreditierte und Sitzplatzbesitzende Journalistinnen und Journalisten haben in bestimmten Abständen das Bedürfnis, ein Bedürfnis verrichten zu können. Normalerweise kein Problem. Man erhebt sich möglichst leise, verlässt den Gerichtssaal, strebt einer entsprechenden, auch in Gerichtsgebäuden vorhandenen Einrichtung zu, verrichtet sein Geschäft und setzt sich leise wieder hin. Wo ist also das Problem? Das Problem ist die Zeit, denn das Verrichten ist kaum in drei Minuten zu verrichten. Einschließlich Hin- und Rückgang. Besonders für Damen mit den bekannt langen Schlangen vor Damentoiletten völlig illusorisch. Genau diese drei Minuten spricht das Gericht aber den druckmäßig Betroffen zu. Mehr nicht. Wer darüber hinaus verrichtet, dessen Sitzplatz ist weg. Und die Warteschlange vor der Pressetribüne ist noch länger als die vor der Damentoilette.

„Angesichts dieser Tatsache werden Sie sich einer weltweiten Medienkampagne ausgesetzt sehen. Von Verfassungsbeschwerden ganz abgesehen.“ – dozierte der Typ vor dem Schreibtisch.

„Und jetzt kommen wir ins Spiel. Wir liefern Ihnen die Toilette am Mann, bzw. an der Frau. Bequem zu tragen und äußerst aufnahmefähig. Damit können die Pressefritzen stundenlang aushalten und sich voll auf den Prozess konzentrieren. Genial, was? Da wäre also nur noch zu klären, wo wir unsere Materialausgabe aufbauen können.“

Dem hohen... dem sehr hohen Beamten gingen verschiedene Gedanken durch den Kopf. Fast alle waren katastrophengeschwängert. Ein deutscher Beamter kann sich darauf verlassen, dass sein Tun und Denken von akribisch ausgearbeiteten Vorschriften gelenkt und kontrolliert wird. Eigenständige Entscheidungsprozesse sind da nicht vorgesehen und auch nicht erwünscht. Auch intensives Nachdenken förderte keine Vorschrift zutage, in der die rechtlich korrekte Vergabe von Lieferverträgen für Windeln niedergeschrieben ist. Jedenfalls nicht für Pressefritzen bei medienwirksamen Prozessen.

„Sie können doch nicht einfach hier reinmarschieren, einen Verkaufsstand aufbauen und Windeln verkaufen. Sie sind hier nicht auf dem Marktplatz sondern in einem deutschen Gericht. Hat man überhaupt jemals so etwas gehört? Wir stehen vor dem wichtigsten Prozess der deutschen Nachkriegsgeschichte und Sie kommen mir hier mit Windeln für Pipi. Was sollen denn die Leute denken? Von der Presse ganz abgesehen!“

„Die Presse wird Sie dafür lieben. Außerdem ist das – wie sagt die Kanzlerin? – alternativlos. Wir wollen auch nicht verkaufen, wir verschenken. Wird ein Riesen-Werbegag. Wäre also nur noch die Frage, wo wir...!“

„Halt, halt, halt! So schnell geht das nicht. Da müssen wir erst ein Genehmigungsverfahren durchführen. Ist ja keine kleine Entscheidung. Dann muss eine Ausschreibung veröffentlicht werden. Ja, und der Hygieneaspekt. Immerhin sammeln Sie da Fäkalien ein. Riecht das denn nicht unangenehm?“

„Wenn man nicht regelmäßig wechselt schon. Die Ausschreibung können Sie sowieso vergessen, denn – wie gesagt – wir liefern kostenlos. Da kommt keiner drunter. Oder wollen Sie etwa Geld dafür verlangen?“

„Nein! Aber ich überlege, ob wir von drei auf vier Minuten verlängern!“


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